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Thorsten Wember
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Dabei seit: 25.06.2001

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Jo, deine Beiträge sind mal wieder von so viel wisschenschaftlicher Unwissenheit geprägt, da muss ich jetzt einfach mal eingreifen.

Also mit den Fremdwörtern, das ist so...

Übrigens ist der Plural von Wort einmal Worte und einmal Wörter. Wenn es sich tatsächlich nur um das Wort an sich handelt, dann Wörter, wenn es um große Maximen oder Sprüche geht, dann Worte. (Der Worte sind genug gewechselt...)

Alles, was die deutschen Urväter aus anderen Sprachen übernommen haben und noch heute übernehmen, sind erstmal Entlehnungen. Über die Motive, also die Ursachen reden wir ein anderes Mal.
Was so alles entlehnt werden kann, glaubt man auch nicht. Das sind


  • - Lehnwörter (Studium, servieren)
  • - Lehnaffixe (anti-, ex-, -ismus, -abel) und Lehnkonfixe (Elektro-, -krat), also der Einfachheit halber Präfixe und Suffixe
  • - Lehnübersetzungen (dies solis -> Sonntag)
  • - Lehnübertragungen (eye shadow -> Lidschatten)
  • - Lehnschöpfungen (bluejeans -> Nietenhose)
  • - Lehnbedeutungen (realisieren -> 1. verwirklichen, 2. erkennen, begreifen; schneiden -> 1. trennen, 2. nicht beachten)

Ist zwar alles nicht so wichtig, auch nicht die Unterscheidungen, aber ihr wollt ja alles wissen. Also bitte.

Wenn man nun also ein Lehnirgendwas hat und ins Deutsche entlehnen will, dann findet ein Prozess in vier Schritten Statt.

1. Sprachkontakt
Sprachen die miteinander nur wenig Kontakt haben, haben auch geringeren Austausch, klar. Es muss also Leute geben, die beide Sprachen einigermaßen beherrschen.

2. Interferenzen (Gelegenheitsentlehnung)
Es kommt zur vereinzelten Verwendung eines fremden Wortes einer Gebersprache in der Nehmersprache. Nur, weil das von ein paar Sprechern gemacht wird, ist das Wort noch nicht (so richtig) enlehnt.

Zitat:
Original von stefanie
Meine Lieben, so ganz einfach ist die Sache ja nun nicht. Wer bestimmt denn, dass ein Anglizismus genug eingedeutscht ist, so dass er mit Genitiv-s geschrieben wird?

3. Transferenz
Viele Sprecher (oder alle) verwenden das fremde Wort in der Nehmersprache und es kommt dabei kaum zu Störungen beim Verstehen des Wortes. Die Entlehnung ist vollzogen.
Hauptgebersprache des Deutschen ist übrigens Latein (gesichert) mit angeblich über 60% aller Entlehnungen. Im 18./19. Jahrhundert war es mal das Französische, seit 1945 ist es das Englische. Erstaunlicher Weise wurden trotz regen Sprachkontaktes zwischen Russischem und Deutschem in der DDR kaum ein Dutzend russische Wörter entlehnt, weil sie und die damit verbundene Kultur sehr wenig Prestige besaßen.

4. Integration - Und jetzt wird's richtig interessant
Es gibt 6 Hauptintegrationsfelder:

  1. Phonemische Integration
    Das englische "stop" wird im deutschen zu "schtop". Das heißt, das "st" wird dem deutschen Gebrauch angepasst und lautlich zu "scht".
  2. Graphemische Integration
    cakes -> Keks Die Aussprache bleibt gleich, die Orthografie wird angepasst.
  3. Flexivische Integration
    Wenn der Kanzlerkandidat Stoiber von den Visen spricht und damit den Plural von Visum meint, dann wehrt sich sein regelhaftes Sprachverhalten gegen die nichtdeutsche Flexion (hier Pluralbildung) Visa. So auch Kommata -> Kommas
  4. Wortbildungsintegration
    Ist indigene (einheimische) Wortbildung möglich, also kann das entlehnte Wort im Deutschen für neue Wortbildungen gebraucht werden, ist es in diesem Punkt ebenfalls integriert. "Korrekt ist stärker integriert als "flexibel", denn ein abstraktes Substantiv zu ihnen heißt "Korrektheit", aber nicht *"Flexibelheit", sondern Flexibilität.
  5. Semantische Integration
    Die Farben Violett und Lila wurden, als es diese Wörter im Deutschen noch nicht gab, mit blau, braun und rot umschrieben. Jetzt hat man für die entsprechenden Farben auch eine entsprechende Semantik (Bedeutung).
  6. Sprachsoziologische Integration
    Wenig integriert sind Fachwörter, da sie von einer Minderheit gebraucht werden und es häufig deutsche Entsprechungen gibt.
    Stärker integriert sind (Fach-)Wörter der Allgemeinbildungssprache (Kontinuität).
    Am stärksten sind Wörter der Gemeinsprache (Kontrolle) integriert.

Für diese Ausführungen habe ich mich im Wesentlichen auf die Ansichten von Peter von Polenz gestützt, nach Ansicht meiner Dozenten der "beste, noch lebende Germanist". Hört, hört.

Das Problem des Genitiv-s fällt also unter Flexivische Integration. Bei den meisten entlehnten Wörtern schreibt der Duden zwingend vor, dass jeweils ein s im Genitiv zu setzen ist (z.B. Internet - des Internets; Computer - des Computers).
Es gibt freilich auch schwach gebeugte Substantive, die auf -en deklinieren: der Revisionist, des Revisionisten. Umstritten ist, da er im Wandel begriffen ist, der Genitiv von Autor: des Autors oder des Autoren?

Und noch ein Hinweis: Bei allen Feminina, also weiblichen Substantiven, ist der Genitiv gleich dem Nominativ: die Frau - wegen der Frau.

Dass der Genitiv bei Neutra und/oder Maskulina gleich dem Nominativ ist oder der Duden zwei Varianten (mit Suffix -s oder -(e)n - oder ohne Suffix) zulässt ist eher selten. Für die Zweiervariante habe ich kein Beispiel auf die Schnelle gefunden, für einen (scheinbar ungebeugten) Genitiv muss der alte Kasus herhalten. Hier heißt es nämlich "des Kasus" und Plural Nominativ auch "die Kasus", jedoch lang gesprochen. Hier wurde die lateinische U-Deklination mitentlehnt, im Deutschen freilich unregelmäßig.

Vorhang zu und alle Fragen offen.

__________________
Traum war teuer.

15.09.2002 13:48 Email an Thorsten Wember senden Homepage von Thorsten Wember Beiträge von Thorsten Wember suchen
GabrieleKroneSchmalz
gelehmt

Dabei seit: 30.10.2001

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Herr Wember, Herr Wember.

Ich gehe davon aus, daß Sie gestern abend nicht ausgegangen sind, ja?

Heieiei....großes Grinsen

15.09.2002 13:50 Email an GabrieleKroneSchmalz senden Homepage von GabrieleKroneSchmalz Beiträge von GabrieleKroneSchmalz suchen
Thorsten Wember
Mitglied

Dabei seit: 25.06.2001

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Banausin!

15.09.2002 13:52 Email an Thorsten Wember senden Homepage von Thorsten Wember Beiträge von Thorsten Wember suchen
Foreigner
Mitglied



Dabei seit: 11.10.2001

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Zitat:
Original von Thorsten Wember

Für diese Ausführungen habe ich mich im Wesentlichen auf die Ansichten von Peter von Polenz gestützt, nach Ansicht meiner Dozenten der "beste, noch lebende Germanist". Hört, hört.

Ein beruhigendes Gefühl, in Anbetracht des bevorstehenden Ablebens dieses Herrn seinen würdigen Nachfolger bereits unter uns zu wissen... Augenzwinkern

__________________
Schöne Frauen sind nur mehr oder weniger gut gelungene Kopien eines Ideals.
Hässliche sind dagegen immer ein Original!

16.09.2002 11:45 Email an Foreigner senden Homepage von Foreigner Beiträge von Foreigner suchen
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