Bin schon den ganzen Tag mehr oder weniger aufgewühlt. Wir hatten vor einiger Zeit schon mal ne Diskussion über Rechtsradikalismus usw. geführt. Damals ging es darum, dass sich eine Art Öffentlichkeit darüber aufgeregt hat, dass jemand im Big-Brother-Haus Judenwitze erzählt hat. Ich war damals der Meinung, ich mache das auch und das sei nicht so schlimm. Außerdem sind die Vorurteile über Juden nach wie vor in den Köpfen drin. Wenn keine Kamera läuft und ich mit meinen Freunden "unter uns" bin, stört sich da keiner dran und wir sind beileibe keine praktizierenden Faschos oder so.
Aktueller Anlass sind die Vorfälle in der Türkei gestern Abend. Hat sicher nicht jeder mitbekommen, deswegen mal ne kurze Zusammenfassung.
Es geht eigentlich nur um Fußball. Die Schweiz schlägt zu Hause die Türkei 2:0 und die fühlen sich - das ist im Fußball so üblich - natürlich vom Schiri betrogen, denn sonst hätten sie natürlich nie gegen so einen schwachen Gegner wie die Schweiz verloren. Außerdem war die türkische Öffentlichkeit in Rage, weil die türkische Hymne in der Schweiz besonders unschön ausgebuht wurde - über das Maß, das man beim Fußball eben gewohnt ist, hinaus.
Nun war zu hören, dass ein Schweizer Spieler seinen türkischen Kollegen beleidigt hat und auch was Unfeines über die Mutter gesagt hat. Das trifft natürlich voll in die türkische Seele. Und hier ist auch schon mein erstes Vorurteil, das mir nicht gefällt: Türken fühlen sich sofort in ihrer Ehre verletzt, wenn sie beleidigt werden und reagieren überzogen.
Als die Schweizer Mannschaft nun in die Türkei zum Rückspiel kam, wurde ihr Bus mit Eiern, Milch (!?) und Steinen beworfen und es wurden (vereinzelt) Schilder hochgehalten mit Botschaften wie "Fickt euch ihr Hurensöhne!" (Spätestens an dieser Stelle fällt bei uns im Freundeskreis widerspruchslos das Wort Gesindel und meint damit nicht weniger als alle Türken, alle.) Beim Abspielen der Hymne waren einige türkische Spieler sehr aggressiv bei der Sache. Auch neutral betrachtet kein gutes Zeichen. Die schweizer Hymne ging vollständig unter, wurde bis zum Nichtmehrhören niedergebuht. Das Spiel wurde halbwegs aggressiv geführt, aber wohl vertretbar.
Gleich in der 1. Minute gab der belgische Schiri Handelfmeter gegen die Türken - zwar berechtigt, aber das sieht man auf türkischer Seite bis jetzt noch anders. Die Schweiz rettete ein 2:4, was gerade so zur Qualifikation reichte. Nach dem Abpfiff ging es erst richtig los.
Die Spieler rannten so schnell es ging vom Platz, denn der wurde mit Wurfgeschossen übersät. Ein Schweizer trat beim Rauslaufen einen türkischen Spieler (nach einigen Berichten ging dieser Aktion eine Tätlichkeit gegen diesen Schweizer voraus), es kam zu leichteren Rangeleien und Tritten im Kabineneingang und schließlich zu handfesteren Gemengen. Sicherheitskräfte griffen zugunsten der türkischen Spieler ein und prügelten gegen die Schweizer mit. 2 Mann mussten ins Krankenhaus. Auch die Medienvertreter (zum Beispiel ARD) wurden angegriffen, ohne aber ernsthaft was abzubekommen. Die hatten trotzdem Angst, ist doch klar. Zur Ehrenrettung der Türken sei gesagt, dass die Altintopbrüder, die in der Bundesliga spielen, von mehreren Schweizern gelobt wurden, weil sie "deeskalierend" eingriffen. Wirklich respektabel, denke ich!
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Oft genug musste ich heute von durchaus gesitteten Leuten Meinungen vernehmen, die beruhigt ausstießen: Zum Glück sind die Türken bei der WM nicht dabei!
Sie geben damit einem Gefühl Ausdruck, das, so vermute ich, der Nährboden alles Rechten in uns ist: Angst vor dem Fremden. Man kann es drehen und wenden, wie man will, eine Gruppe von Türken sollte man nicht reizen. Ich erwische mich dabei, wie ich in dieser Situation immer wieder wütend auf die Türken werde, mit den Schweizern sympathisiere, die Türken über einen Kamm schere. Mir stellt sich die Schuldfrage nicht, die Türken sind ganz einfach Schuld.
Wundert mich gar nicht, dass es Leute gibt, die aus solchen und ähnlichen Geschichten ihren Hass auf Türken ableiten. Oder auf Araber, oder den Islam, das Judentum, ganz egal. So fängt jede Form von Rechtsradikalismus an, befürchte ich. Nicht, dass ich selbst gefährdet wäre, nun "aktiv" zu werden, aber ich muss gestehen, meine Toleranz hat hier ihr Ende und - verdammt! - ich will nicht, dass es so ist.
Bin ganz schön verwirrt. Ich hoffe, ihr versteht so halbwegs. Ist Fremdenhass natürlich?
Auf jeden Fall vermute ich, diese Art Fremdenhass hat Millionen Menschen zu allen Zeiten zu Mitläufern rechter Bewegungen gemacht. Haben wir nichts gelernt?
Dieser Beitrag wurde schon 1 mal editiert, zum letzten mal von piazza_adm am 01.09.2012 06:37.
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