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Thorsten Wember
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ZDF ohne Meinungsfreiheit Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen       IP Information Zum Anfang der Seite springen

Ihr wisst ja, dass ich ein ganz einfaches Rechtsverständnis habe. In meinem etwas abgenutzten Grundgesetz steht unter Artikel 5:
Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten ... Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

Ich schätze es sehr, dass das da steht und freue mich auch oft, wenn es Anwendung findet.

So weit so gut, es geht um die Tour de France. Da vielleicht nicht jeder so in der Materie drin steckt, werde ich den Sachverhalt mal erklären.

Auf der gestrigen Etappe über viele Berge durch die Alpen hat 60 km vor dem Ziel Jan Ullrich angegriffen. Lance Armstong hat das nicht weiter gejuckt, da Ulle schon über 6 Minuten Rückstand hatte. Jedoch sah der momentan Zweitplatzierte Ivan Basso, ein junger aufstrebender Italiener, seine Felle davon schwimmen. Im Team von Basso (sportlicher Leiter ist Bjarne Riis) fährt auch Jens Voigt, ein starker deutscher Fahrer, jedoch ohne Kapitänsambitionen. Voigt war in einer Ausreißergruppe noch vor Ullrich und als Bjarne Riis bemerkt hat, dass Ullrich nach 15 km 1 Minute auf Armstrong, Basso u. a. gut gemacht hat und weiter stark aussieht, hat er Voigt zurück beordert. Voigt wartete auf die Gruppe um Basso und fuhr das Loch zu Ullrich für seinen Kapitän wieder zu. So ist der Sport.

Jens Voigt hat das sicherlich für seinen Freund Ullrich leid getan, aber man hat auch schon neidische Brüder gesehen, die lieber einem Dritten den Sieg lassen als dem Bruder. Kein wirklicher Aufreger.

Nun ist es seit einem Jahrzehnt so, dass sich die ARD (und zunehmend) auch das ZDF statt einer Radsportberichterstattung nur Hofberichterstattung herausnimmt. Das heißt, die Kommentatoren Hagen Boßdorf, Herbert Watterott und der kürzlich geschasste Jürgen Emig haben ihre sechs Augen auf Zabel und Ullrich gerichtet und sind sonst relativ radsportblind. Hagen Boßdorf kritisierte die Taktik von Bassos Mannschaft - klar, ging ja gegen Ullrich. Man darf sicher sein, dass es im andern Fall (etwa Basso greift an und Aldag wird zurückbeordert, um Basso wieder einzufangen) Superlative gehagelt hätte.

Das ist auch noch kein Aufreger, Hagen Boßdorf ist halt ein Schwätzer. Jens Voigt selbst hat sich im Interview mit einem Augenzwinkern als Vaterlandsverräter bezeichnet. Fans verstehen das als Scherz.




Nun begegneten heute Jens Voigt beim Bergzeitfahren nach Alpe d'Huez fast so viele Buhrufe wie Armstrong, der das jedoch gewohnt ist. Siege erzeugen Neid. Unanfechtbare Siege erzeugen Hass.
Voigt wurde als Judas beschimpft und er hat Plakate gelesen, in denen er ganz explizit als Judas bezeichnet wird. Das haut den stärksten Mann um.

Im Live-Interview nach dem Rennen im ZDF machte Voigt die Medien ("die Berichterstattung") dafür mitverantwortlich und zeigte sich tief enttäuscht. Das kann man verstehen. Wie schnell man doch in unserer Gesellschaft unschuldig am Pranger steht. Als der Interviewer nochmal nachfragte, wie Voigt das mit der Berichterstattung meinte, sagte dieser: "Na gut, dann muss ich wohl noch deutlicher werden. Es kann nicht sein, dass ein Hagen Boßdorf in den Übertragungen erzählt ..." (genauer Wortlaut leider nicht vermerkt)

Das ZDF blendet an dieser Stelle hastig aus und Moderator Rudi Cerne übergeht die Situation damit, eine Lanze für den Kollegen Boßdorf zu brechen.

Auch wenn Boßdorf gar nichts falsch gemacht hat (was wohl so ist, denn er hat bestimmt Voigts Verhalten eingehend langweilig erklärt), so muss man doch einem Mann wie Jens Voigt, der sich nach persönlichen Niederlagen und Siegen immer den Medien stellt und dem ARD und ZDF einiges zu verdanken haben, auch mal Platz für eine unliebsame Meinung geben, auch wenn sie nicht im Senderinteresse liegt. Wie gesagt, ich bin kein juristischer Fachmann und sicher haben die Öffentlich-Rechtlichen keine juristische Verpflichtung, Meinungen zu transportieren, eine moralische Verpflichtung haben sie in jedem Fall.

Wenn ARD und ZDF nicht ohnehin schon eine miserable, fanfeindliche, subjektivierte und gefühlsfreie Radsportberichterstattung hätten, ich hätte einen Grund mehr, sie nicht zu schauen. Welch ein Glück, dass der Mensch Eurosport hat.

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Traum war teuer.

21.07.2004 21:19 Email an Thorsten Wember senden Homepage von Thorsten Wember Beiträge von Thorsten Wember suchen
Thorsten Wember
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Man vergleiche auch diesen Artikel.

Da steht, das hatte ich schon ganz vergessen, dass Voigt in mehreren Sätzen an Olympia 2000 erinnert. Er hatte damals 150 km lang Löcher zugefahren - für die Nationalmannschaft. (Bei WM und Olympia starten entgegen sonstigen Gepflogenheiten Nationalteams im Radsport.) "Damals hat der Judas Jan Ullrich zur Goldmedaille verholfen."

Das klingt doch wirklich bitter und tut mir ganz schön leid für "Vochte".

Edit: Besonders der Spiegel blickt mal wieder über den Tellerrand, nämlich ins ZDF-Forum.

21.07.2004 21:23 Email an Thorsten Wember senden Homepage von Thorsten Wember Beiträge von Thorsten Wember suchen
Thorsten Wember
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Ganz schön heftig, was man im ZDF-Forum so lesen kann. Boykottaufrufe, Empörungen über diese Aktion und die Kommentatoren im Allgemeinen.

Durch so eine Kleinigkeit wird sehr vielen Zuschauern klar, dass man die ganze Zeit wohl einer Meinungsmache ausgesetzt ist und das nur die Spitz des Eisberges...

In einem habe ich mich aber geirrt:

Zitat:
Original von Thorsten Wember
Auch wenn Boßdorf gar nichts falsch gemacht hat (was wohl so ist, denn er hat bestimmt Voigts Verhalten eingehend langweilig erklärt)


Man liest nun sehr häufig von Zuschauern, die die gestrige Etappe nochmal auf Video geguckt haben, dass Boßdorf sagte: "also was Jens Voigt da macht, das ist wirklich wie Verrat....an einem Freund.......mit dem er bei Olympia gefahren ist....."

Natürlich wird noch angeführt, dass die ARD Sponsor von T Mobile ist, dass Boßdorf schon einige Bücher über und mit Ullrich geschrieben hat (und nicht die schlechtesten), aber das ist vielleicht zu viel des Schlechten vermutet.

Die schreibende Presse (allen voran BILD, aber auch radsporrferne Zeitschriften wie kicker oder Sportbild) hat das ganze Jahr über kaum ein gutes Wort für Ullrich übrig, aber immer jede Menge Häme. Ganz anders sieht das im TV aus. Da wird Kritik an Ullrich immer abgeschmettert, in der ARD und im ZDF sowieso.

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Es ist dieser kleine Teil des Lebens/der Gesellschaft, den ich besonders intensiv das ganze Jahr über verfolge. Der Rest der Gesellschaft ist wahrscheinlich ähnlich verlogen, sensationslüstern, unbewusst korrupt. Da fällt es einem jungen Manne nicht leicht, den Pfad der Tugend zu gehen und ausgelacht zu werden. Ich höre viel Zweifelhaftes in den letzten Tagen. Man muss sich selbst ein Halt sein.
Ich kann euch sagen,
da liegt viel im Argen. großes Grinsen
Mit diesem Reim,
lass ich's genug für heute seim.


Trotzdem, dass die im ZDF denken, die kommen damit durch! Hauptsache, Voigt macht keinen Rückzieher und entschuldigt sich wohlmöglich noch für die Wahrheit, die ihn - im Jahr 2004 - von heute auf morgen - an den Pranger gestellt hat. Das tut dem Hagen bestimmt schreeecklich leid. Er hat ja morgen siebeneinhalb Stunden Zeit, alles aufzuklären.

Ich finde kein Ende ...

21.07.2004 22:12 Email an Thorsten Wember senden Homepage von Thorsten Wember Beiträge von Thorsten Wember suchen
Thorsten Wember
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ARD und ZDF haben den Arsch zusammengekniffen und sind im Erfinden von Ausreden besser als Ullrich bei sportlichen Niederlagen.

Das ZDF bedauert den Vorfall und gibt an, dass es justament in dem Moment, da das Interview abgebrochen wurde, eine technische Panne gab. Das halte ich zu 1% für möglich. Also klare Zuschauerbeleidigung.

Vom ZDF heißt es:
Der Abbruch des ZDF-Interviews mit Jens Voigt nach der 16. Etappe der Tour de France ist aufgrund eines "bedauerlichen Kommunikationsfehlers" zustande gekommen. "Das war nicht geplant, und wir ärgern uns darüber selbst am meisten", erklärte Peter Kaadtmann als Leiter der ZDF-Redaktionsteams vor Ort. Um dies zu belegen, bietet das ZDF das Interview in voller Länge nachträglich als Video an.

Klar, dass sie sich nach dieser Aufregung nicht mehr rauswinden können und das Interview nun zeigen. Die ARD hatte angekündigt, das Interview während der Übertragung, die wie gesagt siebeneinhalb Stunden lief, heute zu zeigen. Das ist anscheinend nicht geschehen. Daumen runter

Ein weiteres Interview in der ARD mit Jens Voigt nach der heutigen Etappe brachte den Charakter des Senders ans Tageslicht. Anstatt sich zu entschuldigen, erst Recht, wenn man weiß, dass die Zuschauer, die die ARD-Übertragung ohnehin viel aus den Kommentaren herausinterpretieren müssen, da diese ja nichts aussagen ... Jedenfalls, anstatt sich zu entschuldigen, händigte man Voigt eine geschönte Mitschrift aus (hier nachzulesen). Dieser hat wohl heute Nacht nicht die Internetforen gewälzt, sondern den Schlaf der Gerechten eingeholt. Er beließ es dabei.

Sauber rausgemogelt, die Hunde.

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Traum war teuer.

22.07.2004 21:23 Email an Thorsten Wember senden Homepage von Thorsten Wember Beiträge von Thorsten Wember suchen
Thorsten Wember
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Komm, eins noch.

Die ARD verteidigt sich u. a. mit dem Satz:

Zu beachten ist auch, daß evtl. die Zuschauer vor Ort falsch reagiert haben, weil sie in Frankreich eben keinen deutschen Kommentar hatten und somit die Taktik nicht verstanden haben.

Jeder, der auch nur einmal eine ARD-Übertragung des Radsports verfolgt hat und vom Radfahren mehr versteht, als die BILD-Zeitung berichtet, muss sich hier schwer beleidigt fühlen.

Noch einmal, weil's so schön war, Gedanke für Gedanke:

Zu beachten ist auch,
daß evtl. die Zuschauer vor Ort
falsch
reagiert (!)
haben, weil sie in Frankreich eben keinen deutschen Kommentar (!!!!)
hatten und somit die Taktik (!)
nicht verstanden (!!!!)
haben.


Wenn's nicht so schlecht und traurig wäre, man könnte drüber lachen.

22.07.2004 21:33 Email an Thorsten Wember senden Homepage von Thorsten Wember Beiträge von Thorsten Wember suchen
 
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