Europapolitik: Philosoph Habermas rechnet mit Merkel ab |
|
Angela Merkel: Eine Frage der Macht
Ziellos, machtorientiert, opportunistisch - so regiert nach Meinung von Jürgen Habermas die Kanzlerin. Hart geht der Philosoph in einem Gastbeitrag für die "Süddeutsche Zeitung" mit Angela Merkel ins Gericht. Besonders verheerend sei deren blanke Interessenpolitik für Europa.
Hamburg - Jürgen Habermas rechnet mit der Europapolitik der Bundesregierung ab. Er wirft ihr Machtstreben, Ziellosigkeit und zu große Abhängigkeit von Umfrageergebnissen vor. Seit Angela Merkel im Amt sei, habe die deutsche Europapolitik keine Konturen mehr, schreibt er in einem Beitrag für die "Süddeutsche Zeitung". "Man kann nicht mehr erkennen, worum es geht, ob es überhaupt noch um mehr geht als den nächsten Wahlerfolg." Im Klartext: Ihr gehe es ausschließlich um Macht.
Als einen der Gründe für das nachlassende Interesse an Europa sieht der Philosoph das wachsende Selbstbewusstsein des wiedervereinigten Deutschlands. Nie sei der Vorrang nationaler Interessen so blank in Erscheinung getreten wie unter Angela Merkel. Das neue Selbstverständnis habe die bis dahin gehegte Kultur der Zurückhaltung verdrängt:
"Genschers Vorstellung von der 'europäischen Berufung' eines kooperativen Deutschlands spitzt sich immer stärker auf einen unverhohlenen Führungsanspruch eines 'europäischen Deutschlands in einem deutsch geprägten Europa' zu."
Als Beleg für seine These, dass Merkel nur noch nach Umfrageergebnissen regiert, nennt er zum einen das Atommoratorium und zum anderen die Plagiatsaffäre um Karl-Theodor zu Guttenberg. Sie habe ihn wegen seiner Beliebtheit im Amt behalten wollen.
"Kühl kalkulierend hat sie für ein paar Silberlinge, die sie an den Wahlurnen dann doch nicht hat einstreichen können, das rechtsstaatliche Amtsverständnis kassiert",
schreibt er in der "SZ" weiter. Damit hält er das Wesen der Demokratie für beschädigt.
"Eine demokratische Wahl ist nicht dazu da, ein naturwüchsiges Meinungsspektrum bloß abzubilden; vielmehr soll sie das Ergebnis eines öffentlichen Prozesses der Meinungsbildung wiedergeben."
Und mit dem Gedanken gelangt er zu einem der grundsätzlichen Probleme Europas:
"Auch die Europäische Union wird keinen demokratischen Charakter annehmen können, solange es die politischen Parteien ängstlich vermeiden, Alternativen zu Entscheidungen von großer Tragweite überhaupt zum Thema zu machen."
"Die Eliten stecken den Kopf in den Sand"
Für den europäischen Einigungsprozess sieht Habermas im Moment schwarz. Er stecke in einer Sackgasse und könne ohne grundsätzliche Veränderungen nicht weitergehen: nämlich die Beteiligung der Bevölkerung. "Stattdessen stecken die politischen Eliten den Kopf in den Sand. Sie setzen ungerührt ihr Eliteprojekt und die Entmündigung der europäischen Bürger fort."
Als Beispiel nennt er den europäischen Stabilitätspakt, der 2013 den Rettungsfonds ablösen soll. Dass ein solches Instrument nötig ist, sieht er als Beleg für grundsätzliche Fehler in der Europäischen Union. Die Finanzmarktspekulationen hätten nun allen die Augen für die Konstruktionsfehler geöffnet.
"Die schnelle Aufeinanderfolge von Finanz-, Schulden- und Euro-Krise hat die falsche Konstruktion eines riesigen Wirtschafts- und Währungsraums, dem aber die Instrumente für eine gemeinsame Wirtschaftspolitik fehlen, sichtbar gemacht."
Den Bauherren des Stabilitätspakts wirft er vor, erneut die Menschen außen vor gelassen zu haben - obwohl die Beschlüsse maßgeblichen Einfluss auf ihren Alltag haben: In jedem Land wird ein Maßnahmenkatalog zur Finanz-, Wirtschafts-, Sozial- und Lohnpolitik umgesetzt.
Neben den Politikern stellt Habermas in der "SZ" auch die Journalisten an den Pranger:
"Die munteren Moderator(inn)en der zahlreichen Talkshows richten mit ihrem immer gleichen Personal einen Meinungsbrei an, der dem letzten Zuschauer die Hoffnung nimmt, es könne bei politischen Themen noch Gründe geben, die zählen."
Er wirft der Branche vor, immer enger mit der politischen Klasse zusammenzuwachsen - und darauf auch noch stolz zu sein. Auch sieht er Themen falsch gewichtet. Die Euro-Krise sei als hochspezialisiertes Wirtschaftsthema behandelt worden - ohne politischen Kontext.
Als Folge dieser Entwicklung sieht Habermas zwei Strömungen: Auf der einen Seite politische Verdrossenheit - auf der anderen eine neue Protestbereitschaft an der Basis wie bei Stuttgart 21.
ler
Quelle
__________________ Selbsthilfegruppe COPD & Emphysem
|