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Geschrieben von Schlumpfine am 24.06.2005 um 22:10:

Bachmann-Preis

Guckt jemand von euch?
(Morgen noch ab 8:55 in 3sat oder im I-Net hören oder nachlesen: http://bachmannpreis.orf.at/bachmannpreis

Ich bin ein großer Bachmann-Preis-Fan und versuche jedes Jahr, mir alle Lesungen anzuschauen oder aufzuzeichnen.
Ich lasse mir gern Geschichten vorlesen und ich finde die Diskussionen faszinierend, auch wenn ich mit den Juroren selten einer Meinung bin.

Was bitte findet die Jury an diesem Großraumbüro-Text von Anne Weber so toll? Für mich war das einer der mit Abstand schwächsten Texte! Ich weiß nicht, was der Text will, ich sehe keine Bilder, alles bleibt unbestimmt und beliebig.
Und sprachlich ist er unterirdisch: Jede Menge Klischees und abgestandene Phrasen! Ich weiß wirklich nicht, wie man sich an "treulosen Tomaten" die sich "schlängeln" aufgeilen kann -- in der Stilebene vergriffen, abgestanden, und eine derart schiefe Metapher, dass sich mir als Sprachliebhaberin die Zehennägel aufrollen. Eine Krawatte kann nix stützen, da sie runterhängt und so weiter, Da sollte man doch etwas mehr Sprachsorgfalt erwarten dürfen. Auch der Mensch, der seine andere Hälfte sucht, wird nur zum abgeschmackten Gemeinplatz, der Osterhasen-Einfall ist in diesem Zusammenhang ein mäßig lustiger Kalauer. Die Wirtschafts-Theorie ist in sich widersprüchlich, da wäre mal Platz gewesen, etwas Relevantes zu sagen, aber auch das geht, da unlogisch, in die Hose. Der ganze Text besteht aus schlecht aneinander geklebten zum x-ten Mal zitierten Klischees. Und das soll der Favorit der Jury sein? Augen rollen
http://bachmannpreis.orf.at/autoren/stories/42761/
Für mich ist das ein exemplarisches Beispiel für die Stillosigkeit, die anbeten Iso Camartin (immer noch mein All-time-Lieblings-Juror!) in seinrer Eröffnungsrede kritisiert hat.
Kann ja sein, dass das nun alles ironisch gemeint ist, und Frau Weber sich gesagt hat: Jetz schreib ich mal mit Absicht einen so richtig sauchlechten Text.
Aber was soll das? Augen rollen

Auch die Begeisterungsstürme, wenn der Autor Nikolas Vogel bei einem Wasserschaden durch Blumengießen gleich die Ursuppe und die gesamte Evolution assoziiert, kann ich nicht verstehen. Für mich wirkt das im Zusammenhang mit der Banalität der Wohnungssituation allenfalls lächerlich.
http://bachmannpreis.orf.at/autoren/stories/42657/

Und dass man diese Damen und Herren mit dem Wort "ficken" immer noch derart kicken kann, ist mir ebenfalls unfasslich. In welchem Jahrhundert leben die denn? verschämt

Was mir dagegen sehr gefallen hat, war der der herrlich subtil-böse Karpfen-Text von Barbara Bongartz
http://bachmannpreis.orf.at/autoren/stories/42739/
, wo nicht alles mit dem Holzhammer erklärt wird, wo Geheimnisse bleiben, die Phantasie des Lesers angeregt wird, statt sie ihm auszutreiben. Ein Text, der sprachlich so wunderbar gefeilt ist, dass ich das dringende Bedürfnis habe, einen ganzen Roman der Autorin zu lesen.

Die Dachsgeschichte von Christoph Simon gefällt mir ebenfalls sprachlich ganz wunderbar.
http://bachmannpreis.orf.at/autoren/stories/42722/



Rein sprachlich waren diesmal viele gute Texte dabei, mehr als in den letzten Jahren.
Aber wenige Autoren haben auch was zu sagen.
Viele ziehen sich darauf zurück, Miniaturgemälde von Wohnungen und lauen Beziehungen zu zeichnen. Große Themen? Fehlanzieige.

Für mich gehört zu einem guten Text aber beides: Dass er handwerklich (=sprachlich/stilistisch) gut gemacht ist UND dass er mir etwas erzählt, was ich so noch nicht wusste.


PS: Das Bühnenbild ist wirklich schlecht dieses Jahr.

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